„Ich denke, es macht einleitend Sinn, klarzustellen, dass das Persönliche – das vermeintlich Private – politisch ist.“
Christian Berger ist 26 Jahre alt, er ist in Wien geboren und aufgewachsen und hat trotzdem einen starken Bezug zum Burgenland, wo der Großteil seiner Familie lebt. Christian hat Anthropologie und Geschlechterforschung studiert und studiert jetzt noch Rechtswissenschaften und Sozioökonomie. Seine Forschungsinteressen sind (feministische) Politische Ökonomie und Philosophie, Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsrecht sowie Geschlechterverhältnisse im Recht; innerhalb dieser Felder hat er in den letzten Jahren geforscht und einiges publiziert.

Zurzeit ist Christian Forschungsassistent in der Abteilung Frauen und Familie der Bundesarbeitskammer, Studienassistent am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien und Redakteur des Zeitschrift Politix. Er ist einer der Gründer*innen des Forums kritischer Jurist*innen, das sich für eine pluralistischere juristische Ausbildung und eine die gesellschaftspolitischen Verhältnisse reflektierende Rechtspraxis stark macht.

In seiner Freizeit, die zurzeit zugegebenermaßen sehr überschaubar ist, pflegt er Freundschaften und Beziehungen, ohne denen nichts gar ginge.  Christian „konsumiere“ übrigens so viel „hohe“ und „tiefe“ Kultur wie möglich; vor allem liest er viel und viel Unterschiedliches (auch wenn manche Autor*innen wie Jane Austen, Charlotte Brontë, Virginia Woolf, Bertold Brecht, Gisela Elsner, Walter Benjamin, Susan Sontag immer wiederkehren), schaut Serien und Filme (nach wie vor am liebsten Buffy the Vampire Slayer, Veronika Mars, so gut wie alles, was das Genre „Legal Drama“ hergibt, und so vieles mehr), geht aber auch oft ins Theater und Kino, und Essen, weil er nicht kochen kann. Hie und da schreibt er Texte, die bisher zumindest dem Markt vollkommen entzogen geblieben sind. Außerdem betreibt er regelmäßig Laufsport, wobei er versucht, mindestens zwei Halbmarathon im Jahr zu absolvieren.

Was versteckt sich hinter dem Frauenvolksbegehren?

Das Frauenvolksbegehren ist eine rechtspolitische Initiative zur Stärkung von Frauenrechten und Geschlechtergleichheit, die von der Zivilgesellschaft getragen und finanziert wird. Im Frauenvolksbegehren habe ich mehrere Aufgaben. Gemeinsam mit kongenialen Kolleg*innen habe ich im Sommer und Herbst 2017 die Forderungsstruktur des Frauenvolksbegehrens formal wie inhaltlich grundlegend überarbeitet; in meiner Rolle als stellvertretender Obmann des Vereins Frauenvolksbegehren 2.0 bin ich für Rechtsgeschäfte und Verwaltungsaufgaben aller Art zuständig. Als Bevollmächtigter im Sinne des Volksbegehrengesetz 2018 bin ich zum einen für diverse verfahrensrechtlichen Schritte zur Registrierung, Einleitung und Durchführung des Frauenvolksbegehrens verantwortlich, zum anderen bin ich die Schnittstelle zur Abteilung für Wahlangelegenheiten im Bundesministerium für Inneres. Und als Sprecher der Initiative vertrete ich das Frauenvolksbegehren in der Öffentlichkeit.

Was treibt Dich im Leben an?

„Getrieben zu sein“, ist ein Gefühl, dass ich nur allzu gut kenne; an Leidenschaft leidet man. Getrieben bin ich ganz sicher zum einen von Ängsten und Neurosen, für die zu einem guten Teil die Gesellschaft verantwortlich zu machen ist, die Menschen auf Leistung und Selbstoptimierung in Bezug auf ihren Körper, ihre Beziehungen und Tätigkeiten trimmt, die Ausbeutung und soziale Ungleichheit institutionalisiert und erotisiert hat und Menschen auf geschlechtliche und sexuelle Rollen fixiert. Zum anderen habe ich einen starken Willen, zu verstehen, zu wissen, ein tätiges Leben zu führen, etwas gegen Selbstdisziplinierung, Ausbeutung und Ungleichheit zu unternehmen, also etwas zu bewegen und die Überzeugung, etwas bewegen zu können. Ich weiß um meine relative Privilegiertet und denke, dass diese, wenn man sie einmal als solche verstanden hat, und um sie weiß, in der einen oder anderen Weise verpflichtet, Kritik zu üben und zu handeln.

Was macht Dich so ganz persönlich aus?

Genügend Selbstzweifel und ausreichend Selbstvertrauen. Eine schwierige Frage, die eigentlich andere beantworten sollten.

Wie bist Du eigentlich zum Frauenvolksbegehren gekommen?

Im Mai 2017, also ein paar Wochen nach der Pressekonferenz, auf der Teresa Havlicek und andere das neue Frauenvolksbegehren und seine Forderungen vorgestellt hatten, habe ich gemeinsam mit meinem Kollegen und guten Freund Paul Hahnenkamp an einem wissenschaftlichen Workshop teilgenommen, in dem es um Mobilisierung von Recht in der pluralisierten Gesellschaft ging. Anschließend hatte ich zwei Tage keine Verpflichtungen, und bin mit einem anderen Freund durch Berlin geschlendert, hatte eine gute Zeit, Muße und auf einem Tretboot auf der Spree hatte ich dann schließlich meinen „Whammo“-Moment: In Österreich gibt es eine Initiative, mit der Recht für die gute Sache mobilisiert werden soll und ich habe nicht nur die Fähigkeiten, sondern stehe auch gerade an dem Punkt meiner Biographie, an dem ich mich engagieren könnte und sollte. Noch dazu war und ist das Frauenvolksbegehren überparteilich, „von unten“ mittels Crowdfunding finanziert und äußerst offen und partizipativ – das habe ich selbst sehr schnell gemerkt, als ich das Team im Mai 2017 kontaktiert hatte und alsbald auch sehr herzlich aufgenommen und mit verantwortungsvollen Aufgaben betraut wurde.

Was ist das schönste an Deiner Aufgabe?

Dass sie das gesamte außerparlamentarisch und parlamentarische Spektrum politischer Arbeit abdeckt.

Wie ist es zum Volksbegehren gekommen? Wer waren da die Initiatoren?

Die Initiatorinnen des Frauenvolksbegehrens haben eher zufällig über Veranstaltungen und Netzwerke zusammengefunden. Anfangs wurden vor allem die US-amerikanischen und österreichischen Präsidentschaftswahlen und die Frauenfeindlichkeit, Grundsatzkritik an Frauenrechten (wie dem Recht auf Abtreibung, das in Polen seit 2016 kontinuierlich zur Debatte zu stehen scheint) und Gleichstellung und die generelle reaktionäre und autoritäre Haltung, die im Zuge dessen immer salonfähiger wurden, thematisiert. Die Initiatorinnen und Aktivist*innen des Frauenvolksbegehrens haben sich entschlossen, sich davon nicht abschrecken zu lassen diesem neuen Rechtspopulismus feministischen Populismus entgegenzusetzen. Dafür brauchte es ein demokratisches Instrument, wobei die Wahl auf das Volksbegehren fiel, Organisationsstrukturen, die aufgebaut wurden und finanzielle Mittel, die aufgestellt wurden. Im intensiven Austausch mit einer Vielzahl an politischen Akteur*innen, frauen- und gleichstellungspolitischen Vereinen und Netzwerken und Expert*innen wurden Forderungen erarbeitet und lobbyiert.

Was sind Eure Erwartungen für die nächsten Monate?

Wir haben am 4. April mit fast einer Viertelmillion Unterstützungserklärungen im Gepäck den Einleitungsantrag beim Innenministerium gestellt und hoffen nun, bald zu erfahren, wann die Eintragungswoche, auf die es ankommt, sattfinden wird. Wir hoffen auch einen möglichst frühen Termin, am liebsten wäre uns Mitte Juni, um das Momentum, dass wir zurzeit als Initiative haben und in der Gesellschaft nach #MeToo und #TimeIsUp beobachten können, nutzen können und wir im Herbst und damit noch in diesem Jahr unsere parlamentarische Arbeit beginnen können.

Fühlt Ihr Euch genug verstanden? Wie empfindest Du die Reaktion von der Öffentlichkeit auf Eure Initiative? Hat es in der letzten Zeit rund um das Volksbegehren schöne und ermutigende Momente gegeben die Du mit uns teilen möchtest? Gibt’s Barrieren bzw. Hindernisse die Euch im Weg stehen?

Nicht immer, aber immer öfter. Es gab sehr viel inhaltliche Kritik am Forderungsprogramm, wobei ich mich über die meistens sogar freue, weil sie Auseinandersetzungen anregt; wenn sie unproduktiv, verächtlich oder boshaft ausfällt, ärgere ich mich in einer gewissen Gelassenheit darüber, denn ich denke mir mittlerweile „haters gonna hate, anyway“. Bitter ist auch, wenn man auf Veranstaltungen merkt, dass Menschen von der Demokratie und Politik so grundsätzlich enttäuscht oder gelangweilt sind oder von der eigenen, schwierigen Situation so vereinnahmt sind, dass sie keine Hoffnung auf Veränderung haben. Ermutigend ist hingegen, wenn man gerade bei solchen Menschen, die unter den Verhältnissen leiden, Funken entzünden kann.

Das Frauenvolksbegehren hatte und hat abgesehen davon viel Aufklärungsarbeit zu leisten – auf allen Ebenen. Das ist ein mühsames Geschäft, aber auch sehr lohnend und für eine Initiative wie die unsere auch wesentlich: es geht nicht nur um die Anzahl der Stimmen, sondern auch darum, Bewusstsein für frauen- und gleichstellungspolitische Probleme zu wecken (wie die 40-Stunden-Woche als Norm, an der nicht nur die Hälfte aller Frauen, sondern auch immer mehr Männer scheitern und die nur deshalb funktioniert, weil Frauen für „die Wirtschaft“ funktionieren, also unbezahlt arbeiten) und gegen Verschwörungstheorien vorzugehen (etwa dass der Gender Pay Gap nur einen statistische Erfindung sei) und einen Diskurs über Fragen der angemessenen Repräsentation und gerechten Ressourcenverteilung anzuregen. Es geht uns darum, Anker in die Herzen und Hirne der Menschen zu werfen und die Demokratie zu beleben.

Gibt’s Vorbilder für Dich? Wenn ja, was hast Du Dir von diesen Menschen mitgenommen?

Davon gibt es für mich sehr viele und sehr vieles. Allen voran wären das wohl Catharine A. MacKinnon, Gloria Allred und Ruth Bader Ginsburg; mitgenommen habe ich mir von diesen Frauen und so vielen anderen, dass es möglich ist, diese Welt zu verändern, Spuren in ihr zu hinterlassen, sozialen Wandel zu initiieren – indes niemals alleine, so gut wie immer auf Umwegen, mit Rückschlägen, manchmal nur für Einzelne und manchmal erst nach jahrzehntelanger, hartnäckiger, leidenschaftlicher Arbeit. Und „Don’t take shit“, wie Susan Sontag einmal gesagt hat.

Wer baut Dich auf, wenn es einmal nicht so klappt?

Ein paar Menschen, die wissen, dass sie gemeint sind.

Was sagen eigentlich Deine Freunde, Deine Familie zu diesem Engagement?

Die hatten schon damit gerechnet, dass ich früher oder später, in der einen oder anderen Weise engagieren würde, denn ich habe immer schon viel und gerne debattiert, gerade wenn es um Grundsätzliches geht, und ich habe meine wissenschaftliche und juristische Tätigkeit auch immer als politische verstanden und dies auch so kommuniziert. Und ich kann glücklicher Weise sagen, dass ich sehr viel Unterstützung erfahre. Durch Menschen, die für mich da sind und mich auffangen und mir, wenn es sein muss, den Rücken freihalten – „no matter what“. Durch kürzere oder längere Nachrichten oder Anrufe von Bekannten und Freund*innen, die mir gratulieren, mich auf Artikel oder tagespolitische Geschehnisse hinweisen oder auch so ehrlich sind und mich wissen lassen, wenn mir etwas nicht gut gelungen ist, oder sich Sorgen machen und erkundigen, wie es mir geht. Meine Eltern sind übrigens sehr stolz und sammeln jede Zeitungsmeldung, jedes Interview und nehmen jeden Fernsehauftritt auf; sie fragen sich nur, wie es nach dem Volksbegehren weitergehen wird. Das frage ich mich allerdings auch.

Hast Du für unsere LeserInnen eine Buchempfehlung, einen webtipp, eine Tipp für einen inspirierenden Platz, …?

In Zeiten, in denen Intoleranz, Ignoranz, Unbesonnenheit, und eine Rhetorik der Rache allerorts in die politische Kultur zurückzukehren drohen, würde ich einen Griff zu Aischylos „Die Orestie“ empfehlen.

Wen sollten wir noch für „way to passion“ interviewen?

Goran Maric, der leidenschaftliche und sozial- und bildungspolitisch engagierte CEO des Start Ups „Three Coins“, das verschiedene Kompetenzvermittlungsformate für einen verantwortungsvollen Umgang mit Geld, vor allem für junge und benachteiligte Menschen, anbietet
Diana Köhle, Tagebuch- und Poetry-Slam-Veranstalterin und Moderatorin, die viele junge Künstler*innen fördert und das kulturelle Leben in Wien seit Jahren mitgestaltet
Angelika Adensamer, Juristin und Kriminologin, arbeitet für epicenter.works und ist eine wichtige, junge Stimme für Grund- und Freiheitsrechte, insbesondere in den sensiblen Bereichen Datenschutz und Polizeirecht