Rosa Bergmann studierte Volkswirtschaftslehre, sowie Sozialwirtschaft und Soziale Arbeit in Wien. Seit 2017 unterrichtet sie als Quereinsteigerin über das Programm Teach for Austria in einer Wiener Mittelschule. Gemeinsam mit vier weiteren Kolleg*innen gründete sie 2018 die Vienna Hobby Lobby, die sie heute noch leitet und als Geschäftsführerin weiterentwickelt.
Die Vienna Hobby Lobby bietet kostenlose Freizeitkurse für Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Schichten an. Seit 2019 in Favoriten tätig, und in Kürze wird ein neuer Standort in Brigittenau eröffnet. Über 800 Kinder haben seit März 2019 an den Kursen teilgenommen, weitere Standorte sind in Planung.
Was treibt dich im Leben an?
Der größte Antrieb ist die Hoffnung, etwas verbessern zu können. Ich bin der Meinung, dass wir auf die Welt kommen mit dem Auftrag, etwas zu verändern und zu bewirken. Jede*r von uns kann Unglaubliches möglich machen und wenn wir Menschen zusammenarbeiten, entstehen tolle Projekte und geniale Ideen. Der Welt wird viel zu wenig zugetraut, eigentlich ist es doch ein magischer Platz und es liegt an uns, diese Welt nachhaltig und sinnvoll mitzugestalten.
Wie ist es eigentlich zur Vienna Hobby Lobby gekommen?
Ein knappes halbes Jahr nach dem Beginn meiner Lehrtätigkeit hatte ich eine Schülerin, die immer wieder am Nachmittag in meinem Unterricht blieb, obwohl sie bereits Schulschluss hatte. Als ich sie fragte, warum sie nicht einem ihrer Hobbies nachgehen würde, sagte sie, dass sie keine Hobbies hätte und zuhause immer alleine wäre.
Mir wurde erst da so richtig bewusst, dass viele meiner Schüler*innen nicht so privilegiert waren, wie ich es als Kind war und sich weder Tanzkurse noch Fußballmitgliedschaften im Verein leisten konnten. Rund 70 % des Wissens erlernen wir aber im Alltag und nicht in formalen Bildungsinstitutionen wie der Schule – deshalb verstärkt sich hier die Bildungsungerechtigkeit noch einmal mehr. Ich wollte den Kindern aus Mittelschulen die gleichen Möglichkeiten bieten, die andere Kinder von Haus aus haben, weil sie privilegierter geboren wurden.
Wie habt ihr euch als Team gefunden?
Ich habe meinen Kolleg*innen bei Teach for Austria von der Beobachtung erzählt und einigen anderen aus dem Netzwerk ist dies ebenfalls ein wichtiges Anliegen gewesen. Zu fünft haben wir dann stundenlang geplant und gemeinsam die Vienna Hobby Lobby entwickelt. Mit der Zeit kamen dann sehr viele ehrenamtlich tätige Menschen zu uns dazu, so dass wir mittlerweile eine richtige Vienna Hobby Lobby-Familie sind.
Zufrieden mit den Dingen, die in den letzten Jahren bei euch so entstanden sind?
Ich würde fast sagen: überwältigt. Es ist nur 13 Monate her, dass wir mit dem Social Impact Award den ersten Preis für unser Projekt gewonnen haben. Das war ein halbes Jahr nach dem Start der Pilotphase und seither haben wir einige Auszeichnungen erhalten. Noch viel schöner ist aber auch die Begeisterung der Kinder, die sich bei uns anmelden und der Zulauf der wunderbaren Menschen, die für die Kinder als Kursleiter*innen zu Vorbildern werden. Das hätten wir uns zu Beginn nie träumen lassen und wir freuen uns auf all das, was jetzt noch auf uns zukommt.
Gibt es Dinge, die dir so richtig Sorgen machen?
Die Zukunft der Kinder und Jugendlichen, die gerade heranwachsen. Für sie ist es keine leichte Zeit und ich spüre ihre Angst. Ich bin generell recht feinfühlig und spüre schnell, wenn es jemandem in meinem Umfeld nicht gut geht und für unsere Kinder und Jugendlichen habe ich einen großen Beschützerinnen-Instinkt entwickelt.
Was sind so die täglichen Herausforderungen?
Außer Corona? Derzeit ist das Schwierigste wahrscheinlich meinen Teilzeitjob in der Schule und die Vienna Hobby Lobby Aufgaben unter einen Hut zu bringen. Ich plane gerne und viel und die unbeständige Zeit lässt Planung nun einmal einfach nicht zu. Daher muss ich wohl oder übel sehr spontan agieren – das ist eine große Herausforderung für mich.
Was hat, was macht Corona mit euch?
Viele Veränderungen, manche positiv, manche negativ. Die größte Herausforderung ist, dass wir unsere Angebote für die Kinder und Jugendlichen nicht vor Ort, sondern nur online anbieten dürfen. Unser Projekt funktioniert sehr stark durch Beziehungsarbeit, dem Austausch und definiert sich dadurch, sich vor Ort zu sehen, zu spüren und wahrzunehmen. Das kann der digitale Raume einfach nicht ersetzen. Besonders für unsere Jugendlichen ist diese Einschränkung hart und sie sehnen ein Ende der Pandemie herbei.
Wie geht’s den Kindern in unserem Land?
Soweit wir es beurteilen können, leiden sie sehr. Sie sind genauso Corona-müde wie wir alle und zusätzlich noch verängstigt. Sie fühlen sich „lost“ – nicht umsonst das Jugendwort 2020. Besonders hart ist es für die 14 bis 15jährigen, die gerade an einem Bildungsübergang stehen. Ein Jahr im Leben eines Kindes ist für die Entwicklung unfassbar lange. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht eine verlorene Generation in Kauf nehmen.
Deshalb macht es mich auch richtig grantig, wenn die Aus- und Weiterbildung von Jugendlichen in der Prioritätsskala so weit nach unten rückt. Wenn die Schulen geschlossen sind und man gleichzeitig über die Öffnung von Ski-Gebieten nachdenkt. Ich frage mich, haben unsere Kinder und Jugendlichen nicht tapfer und vorbildlich auf so viel verzichtet?
Gibt es bei Euch gerade spezielle Projekte an denen Ihr arbeitet?
Neben dem neuen Standort im 20.Bezirk haben wir noch zwei spezielle Projekte, die gerade weiterentwickelt werden: Einerseits sind das Kooperationen mit Unternehmen zur Integration in den Arbeitsmarkt und das spielerische Kennenlernen von Lehrberufen in der Freizeit. Ein zweites Projekt ist eine Ausbildung für unsere ehemaligen Teilnehmer*innen zu Co-Kursleiter*innen, damit sie ihre Hobbies an andere weitergeben können und dabei lernen, Verantwortung für andere zu übernehmen. Die Fähigkeit, Verantwortung übernehmen zu können, wird Kindern aus sozial benachteiligten Kreisen oft abgesprochen, und wir wollen sie hier stärken und unterstützen.
Drei Dinge die im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit sofort passieren müssen.
Nur drei? Da gibt es doch so viele Baustellen.
Definitiv gerechte und zugängliche Bildung für alle, Umdenken in der Klimapolitik und in dem Umgang mit Ressourcen, sowie eine Verkürzung der Arbeitszeit.
Drei positive Beispiele im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit.
Auch da gibt es so viele, finde ich. Ich nenne jetzt einmal Beispiele, die mich in meinem persönlichen Alltag berühren:
Die Lenkerbande, die das Fahrradfahren revolutioniert.
Teach for Austria, die die Bildungslandschaft aufwirbeln.
Too Good to Go, die sich dem Verschwendungswahn von Lebensmitteln annehmen
Unverpackt-Läden, um Ressourcen zu sparen (z.B. Lieber ohne im 6. Bezirk)
Schoolfox, die die digitale Version der Schulkommunikation ermöglichen
Markta, durch die man regional einkaufen kann
Die Vollpension, die den besten Kaffee in Wien hat und eine nachhaltige Beschäftigung gegen Altersarmut bietet
Was macht Dich persönlich aus?
Ein lockeres Mundwerk, ein großes Herz und die Tatsache, dass in meinen Venen statt Blut Kaffee fließt.
Was würde der Welt abgehen, wenn es Dich nicht geben würde?
Ich glaube, dass jedes Menschenleben auf der Welt fehlen würde, wenn es nicht mehr da wäre.
In meinem Fall wäre das wahrscheinlich eine sehr direkte Frau, die sich auf die Füße stellt und sagt, was sie denkt, die dabei aber auch sehr empathisch und liebevoll ist.
Wie startest Du in den Tag? Gibt es „Rituale“ die Du umsetzt?
Mit guter Musik, viel Kaffee und einer kalten Dusche
Was braucht ein Tag, um perfekt zu sein?
Ich finde es wichtig, dass der Tag sehr viel Verschiedenes hergibt. Also der perfekte Tag wäre wahrscheinlich eine Mischung an strategischer und kreativer Planungsarbeit am Computer oder auf dem Papier, Meetings mit meinen Team-Kolleg*innen, der Austausch mit anderen Stakeholdern und der Nachmittag in der Vienna Hobby Lobby mit den gut gelaunten Kids an meiner Seite und ein schönes Abendessen mit Freund*innen.
Hast Du für unsere Leser*innen eine Buchempfehlung, einen Web-Tipp, einen Tipp für einen inspirierenden Platz,…?
Einige Buchtipps:
Generation Haram – Melisa Erkurt
Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten – Alice Hasters
Education for Future – Gerald Hüther
Das Café am Rande der Welt – John Strelecky
Wen sollten wir noch für „way to passion“ interviewen?
Spontan fallen mir da diese inspirierenden Menschen ein:
Karina und Alois – Kicken ohne Grenzen
Nicole Traxxler – BeeTwo
Petra Ott – die schlaue Box
Zu guter Letzt: Kurze Fragen – kurze Antworten!
Zick-Zack Lebenslauf oder geradlinige Karriere?
Modeschule – VWL-Studium – Unterrichten – Master in Sozialer Arbeit – eine gerade Linie gibt es da nicht
Arbeit bedeutet für mich ….
die Möglichkeit etwas zu gestalten.
Leidenschaftlich gerne
… arbeite ich mit Kindern
Lieblingsort zum konzentrierten Arbeiten?
Die Küche
Auf meinem Smartphone Home Screen ist zu sehen …?
Ganz kitschig – ein Foto von meinem wunderbaren Lebensbegleiter, meinem Ehemann Ingo
Um abends abzuschalten ….
baden, malen, schreiben oder lesen