Christian Schmidt (rechts im Bild) ist 31 Jahre alt und er lebt in Hannover. Nach seinem Studium hat er zunächst in der Kreativwirtschaft gearbeitet. Vor gut zwei Jahren hat er mit Timm und Stefan das Projekt HEYHO! ins Leben gerufen.

Mit HEYHO! bauen wir in Lüneburg eine soziale Müsli-Rösterei auf, in der wir in Handarbeit die besten Bio-Granolas der Welt rösten. In enger Kooperation mit dem Herbergsverein Lüneburg – einem Träger der lokalen Wohnungslosenhilfe – wollen wir zu einem Drittel Menschen in der Firma anstellen, die es in der Vergangenheit aufgrund einer oft turbulenten Lebensgeschichte nicht ganz so leicht hatten. Mit HEYHO! wollen wir zeigen, dass soziales Unternehmertum möglich ist, dass es eine Menge Spaß macht und nebenbei noch fantastisch schmecken kann.

Was treibt Dich im Leben an?

Menschen und ihre ganz persönlichen Geschichten. Die Freude daran, etwas zu schaffen.

Wann hast Du genau dieses Projekt entdeckt?

Timm und ich kennen uns seit 2012 aus der gemeinsamen Zeit in der Arbeit für einen Eiscreme-Hersteller. Anfang 2015 haben wir angefangen, an einem ersten Konzept für HEYHO! zu arbeiten. Wir wollten von Anfang an einen neuen Weg einschlagen, bei dem ein Unternehmen wieder den Menschen und der Gesellschaft dienen kann. Auch in Hinblick auf Rohstoff-Qualität, Rezepturen und Design wollten wir mit bestehenden Konventionen brechen. Mit einer ersten Idee im Kopf haben wir uns erstmals eine Weile kreative Bälle zugespielt. Ende 2015 kam dann durch einen Zufall Stefan ins Boot. Erst durch ihn wurde unsere Vorstellung, von dem was HEYHO! mal werden könnte, erst rund. Manchmal glaube ich, das Projekt HEYHO! hat eher mich entdeckt als andersherum.

Wie ist die Idee entstanden, das Problem Wohnungslosigkeit mit dem Verkauf von Granola anzupacken?

Der konkrete Anstoß dazu kam von Stefan, der 16 Jahre lang eine Einrichtung für Wohnungslose in Lüneburg geleitet hat. Er erzählte Timm von einem Buch, das er gerade las: „Anweisungen für den Koch“ von Bernard Glassman. Darin geht es um die Geschichte der Greyston Bakery in New York, einer sozialen Bäckerei. Die wiederum ist zufällig der größte Brownie-Lieferant für die Eiscreme-Firma, die Timm lange geleitet hat. Das Besondere dort ist das sog. Open Hiring Modell. Die Bäckerei arbeitet zum Großteil mit ehemaligen Gefängnis-Insassen und gibt jedem Bewerber eine Stelle, der sich auf den nächst freien Job auf einer Liste einträgt. Ganz unabhängig von persönlicher Vorgeschichte oder Qualifikation. Diese unternehmerische Offenheit hat uns sofort verbunden und fasziniert.

Irgendwann sagte Stefan: „Lass uns das doch hier in Lüneburg genauso machen! Bei uns im Herbergsverein gibt es genügend junge Menschen, die Lust hätten zu arbeiten, die aber sonst keiner einstellt.“ Dazu muss man wissen, das wohnungslose Menschen in besonderer Weise vom Arbeitsmarkt und sozialer Teilhabe ausgeschlossen sind. Über unsere Kooperation mit dem Herbergsverein werden wir nun bald die ersten Menschen bei uns in der Produktion einarbeiten und ihnen von Anfang an einen fairen Lohn für Ihre Arbeit zahlen. Das Problem bei vielen Integrations-Maßnahmen der Arbeitsagenturen ist ja leider, dass die Menschen für Ihre Arbeit oft nur einen symbolischen Betrag bis gar nichts bekommen. Wer hätte da schon Lust morgens aufzustehen? Ich jedenfalls nicht.

Das wollten wir HEYHO! von Anfang an anders angehen und gemeinsam mit unseren Mitarbeitenden etwas schaffen, das über die Produktion eines hochwertigen Bio- Lebensmittels hinausgeht. Die HEYHO!-Rösterei in Lüneburg soll ein Ort sein, an den unsere Mitarbeitenden gerne kommen. Weil sie dort Wertschätzung erfahren und sich gemäß ihrer Interessen und Fähigkeiten ausprobieren können. Ein Ort, an dem sie Teil einer Gemeinschaft sind, in der jeder seinen Platz finden kann.

Bio, fair, transparent – so die Zutaten von HEYHO. Warum in allen Bereich so verantwortungsvoll?

Oscar Wilde hat vor über hundert Jahren mal gesagt: „Wir leben in einer Zeit, in der man von allem den Preis und von nichts den Wert kennt.“ Gut ein Jahrhundert später habe ich manchmal das Gefühl, dass das Zitat immer noch nichts an Aktualität eingebüßt hat.

Wir handeln verantwortungsvoll, weil es höchste Zeit ist, als Unternehmer verantwortungsvoll zu handeln. Dazu gehört für uns eben auch, dass wir nur mit Bio- Rohstoffen arbeiten. Wir beziehen diese ausschließlich von Lieferanten, die wir persönlich kennen und bei denen wir genau wissen, dass sie sich genauso viele Gedanken um die Qualität und Herstellungsbedingungen Ihrer Produkte machen wie wir.
Alle Menschen die sich für ein HEYHO!-Granola entscheiden, sollen genau nachvollziehen können, warum ein HEYHO!-Granola eben mehr kostet als das industriell produzierte Produkt des Wettbewerbers nebenan. Wir backen alles in Handarbeit mit richtig guten Rohstoffen. Dazu zahlen wir unseren Mitarbeitenden von Anfang an Löhne, von denen sie auch leben können.

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Wir könnten günstiger produzieren. Wollen wir aber gar nicht. Weil HEYHO! dann keinen Wert mehr hätte, sondern nur noch einen Preis.

Wir wollen gemeinsam mit den verschiedensten Menschen Bio-Müslis rösten. Dabei haben wir nichts zu verheimlichen. Im Gegenteil: Wir wollen andere Unternehmen dazu motivieren, auch Ihre Produktion transparenter zu gestalten und vielleicht ebenfalls Menschen einzustellen, die auf den ersten Blick nicht in das klassische Bewerberraster passen. Damit wäre schon eine Menge gewonnen.

Dort wo andere die Türen zuschlagen, macht HEYHO die Türen auf? Wie leicht ist denn das mit dem Türen öffnen?

Im Grunde genommen ist es leicht. Es erfordert nur den Willen, sich auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen einzustellen, die über längere Zeit nicht mehr am Arbeitsleben teilgenommen haben. Jeder Mensch hat Fähigkeiten, man braucht als Arbeitgeber nur etwas Geduld und Offenheit, diese herauszufinden. Ich glaube, dass jeder Mensch das Bedürfnis hat, gebraucht zu werden. Da geht es mir ja nicht anders. Wir wollen bei HEYHO! einen Ort schaffen, an dem es keine Rolle spielt, wo jemand herkommt. Spannender ist doch sich gemeinsam auf die Reise zu dem Ort zu machen, an den jemand kommen möchte. Menschen können über sich hinaus wachsen und Rollenbilder, die ihnen unsere Gesellschaft zugeteilt hat, hinter sich lassen. Dass das nicht immer ohne Rückschläge gehen wird, ist uns bewusst. Trotzdem machen wir uns gemeinsam auf den Weg.

Was sind denn da so die größten Ängste und Zweifel, die dir begegnen?

Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Das des tiefen Zweiflers und das des grenzenlosen Optimisten. Keine ganz einfache Kombination. Die Herausforderung des Aufbaus einer eigenen Produktion lässt mich schon manchmal etwas unruhig schlafen. Keiner von uns dreien hat so etwas je gestemmt. Wir stellen uns ja mit HEYHO! genau dem Wahnsinn, den andere Firmen an etablierte Produzenten auslagern, entgegen. Trotzdem gehen wir diesen Weg, weil er für uns der einzig richtige ist.

Sonst sind es wahrscheinlich die klassischen Fragen eines jeden Selbständigen, die mich auch manchmal umtreiben: Sind wir wirklich so besonders oder bilden wir uns das nur ein? Kaufen die Kunden unser Produkt? Wie lange geht das gut? Was kommt danach? Gleichzeitig habe ich inzwischen ein Urvertrauen in mein Bauchgefühl entwickelt. Und das sagt mir immer wieder: es wird nicht einfach, aber es wird schon irgendwie gut werden.

Wie schauen mögliche Entwicklungsstufen für Euch aus? 

Unser Ziel ist es, so schnell wie möglich Menschen in eine vernünftig bezahlte Beschäftigung zu bringen. Das geht nur mit Handelspartnern, die uns auf unserem Weg unterstützen und unsere Granolas in Ihr Sortiment aufnehmen. In den nächsten Monaten heisst es also fleissig Klinken putzen und den Vertrieb ausbauen. Dazu werden wir bald auch mit einem eigenen Shop online gehen, so dass sich alle Müsli-Freunde da draußen unsere Granolas auch direkt nach Hause liefern lassen können. Aktuell mieten wir uns mit HEYHO! auch noch in eine Produktionsstätte ein, wo wir die Backöfen und das Lager nutzen können. Das ist für den Start großartig. Das Ziel ist und bleibt aber der Aufbau einer eigenen Rösterei in Lüneburg. Dafür suchen wir aktuell lokale Mitstreiter aus der Zivilgesellschaft und der Politik. Es liegt noch eine Menge Arbeit vor uns.

Welchen Stellenwert nimmt das Themenfeld Social Entrepreneurship bei Dir ein?

Einen hohen! Das Thema begleitet mich seit meinem Erststudium. Schon damals habe ich mich im Rahmen meiner Bachelor-Thesis mit der Frage „Ethik in der Wirtschaft – Illusion oder Realität?“ auseinander gesetzt. Ein weites und spannendes Feld. Mit HEYHO! bin ich nun ja selbst zum Sozialunternehmer geworden und es ist schön zu sehen, dass das Thema aus seinem Nischendasein herausgekommen ist. Ich frage mich persönlich immer, welchen Wert ein Unternehmen heute eigentlich noch hat, das nicht aktiv an der Lösung gesellschaftlicher Probleme arbeitet? Die Welt braucht noch viel mehr Sozialunternehmer und ich teile gern meine Begeisterung und meine Erfahrungen für das Thema mit anderen.

Frühsportfreunde

Bist Du ein neugieriger Mensch? Wenn ja, wie zeigt sich das konkret?

Absolut. Ich stelle Menschen immer viele Fragen. Ich lese viel, wenn es die Zeit erlaubt. Ich probiere Dinge aus.

Was würde der Welt abgehen, wenn es euch nicht geben würde?

Wenn’s HEYHO! nicht gäbe, würden die Menschheit niemals unsere Granolas probieren können. Das wäre furchtbar.
Nein, mal im Ernst: Wir treten an um zu beweisen, dass man Menschen durch viel Vertrauen, Offenheit und Wertschätzung wieder in unsere Gesellschaft einbinden kann. Mit unserer HEYHO!-Rösterei wollen wir Geschichten vom positiven, sozialen Wandel erzählen. Wenn es uns nicht gäbe, würde die keiner hören. Das wäre doch sehr schade!

Wo findest Du den Raum um Deine Leidenschaft ausleben zu können?

Einerseits lebe ich schon einen Großteil meines kreativen Potentials in der Arbeit für HEYHO! aus. In meiner Freizeit restauriere ich gerne alte Möbel, die ich auf Flohmärkten oder bei Wohnungsräumungen (einer meiner Nebenjobs) finde. Raum dazu finde ich in einer Werkstatt. Dort erreichen mich keine E-Mails oder Anrufe, ich bin allein mit einer Idee in meinem Kopf. Etwas mit seinen eigenen Händen nach den eigenen Vorstellungen zu formen löst in mir eine tiefe Zufriedenheit aus. Klingt jetzt vielleicht kitschig, ist aber einfach so. Kann ich jedem nur empfehlen!

Worauf verzichtest Du, um Deine Leidenschaft ausleben zu können?

Sicher auf ein gewisses Maß an finanzieller Sicherheit. Gleichzeitig hat das im letzten Jahr auch zu einer ganz wertvollen Erkenntnis geführt: man braucht gar nicht so viel um gut zu leben. Ansonsten verzichte ich eigentlich auf nichts.

Was ist eigentlich das Schönste bei Deiner Arbeit?

Jeden Tag aufs Neue zu realisieren, dass aus einer verrückten Idee Realität werden kann.

Wer sind Deine wichtigsten und stärksten Unterstützer?

Meine Familie, meine Freundin, meine Freunde und nicht zuletzt meine Mitgründer Timm und Stefan.

Wohin wird Dich deine Arbeit noch bringen? Gibt es noch geheime Projekte?

Wenn ich das mal wüsste. Ich finde es, um ehrlich zu sein, ganz schön, dass genau nicht zu wissen. Mal sehen, was das Leben noch mit mir vorhat. Bei HEYHO! tüfteln wir schon fleissig weiter an neuen verrückten Rezepturen für unsere Granolas, auch die Produktion von Riegeln können wir uns gut vorstellen. Es bleibt spannend, an Ideen mangelt es uns jedenfalls nicht.

Wie gelingt es Dir Menschen für Deine Themen zu begeistern?

Ich glaube das gelingt ganz von allein, wenn man mit viel Leidenschaft bei der Sache ist und immer ein offenes Ohr für die anderen hat.

Was sagen eigentlich Deine Freunde, Dein Umfeld, Deine Familien zu diesem Engagement?

Ich glaube, die freuen sich alle darüber, dass ich etwas tue, was mir wirklich Spaß macht.

Hast Du Tipps für unsere LeserInnen?

Probiert Dinge aus. Sprecht viel mit Menschen. Hört auf euer Bauchgefühl. Hinterfragt vermeintliche Tatsachen. Seid mutig. Es lohnt sich!

Hast Du einen Wunsch?

Ich wünsche mir, dass sich die Menschen wieder mehr zuhören. Jeder hat eine Geschichte, die es verdient, gehört zu werden. Schaffen tun wir’s nur gemeinsam.

Hast Du für unsere LeserInnen eine Buch-Empfehlung, einen Webtipp, einen Tipp für einen inspirierenden Platz, …?

Mein Buchtipp, eine großartige Inspiration fürs Leben und das Dasein als Sozialunternehmer: „Anweisungen für den Koch“ von Bernard Glassman.

Mein Webtipp, wenn man mal einen kleinen Motivations-Schub braucht: http://www.partridgegetslucky.com/

Meine Platzempfehlung: Einfach mal wieder auf eine gute, alte Bank im Park setzen und schauen was passiert.

Wen sollten wir noch für „way to passion“ interviewen?

Unsere Fotografin Julia Rosa Reis aus Hamburg.