Nicole Srock.Stanley ist Geschäftsführerin und Mitgründerin der 1999 gegründeten Agentur dan pearlman Markenarchitektur. dan pearlman ist eine strategische Kreativagentur in Berlin mit über 100 Mitarbeitern. Nicole Srock.Stanley fungierte bis Juli 2016 als Kreativdirektorin von BIKINI BERLIN. Als Mutter von drei Mädchen ist es Nicole Srock.Stanley wichtig, wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie soziale und ökologische Nachhaltigkeit im Unternehmen gelingen kann. Wir haben Nicole beim fifteen seconds festival in Graz getroffen und ein spannendes Gespräch mit ihr geführt.
Was treibt dich an?
Seit ich fünf war, wollte ich eigentlich immer Kinderärztin werden. Ich hatte den starken Glauben, dass ich dieses Gefühl, ein Kind zu sein, niemals verlernen werde und deswegen eine ganz fantastische Ärztin sein werde. Das war mein Dreh- und Angelpunkt. Ich habe mein ganzes Kinderleben danach ausgerichtet Ärztin zu werden. Nach dem Abitur habe ich mir dann die Fragen gestellt, kann ich eigentlich Blut sehen und mag ich Krankenhäuser? Und da ich mir beides mit Nein beantworten musste, dachte ich, vielleicht ist das gar keine so richtig tolle Idee.
Was hast du dann gemacht?
Ich habe dann eine Mischung aus Innenarchitektur, Kunst und Industriedesign studiert – also immer das gemacht, was ich gerade ziemlich spannend fand. Und das habe ich auch mit einer wahnsinnigen Begeisterung betrieben. Neben dem Studium habe ich angefangen als Bühnenbildnerin fürs Fernsehen zu arbeiten. Das war schön. Gerade wenn man so jung und dann mit so großen Produktionen unterwegs ist – sechs Wochen hier und sechs Wochen da, große Shows, Moderationsformate. Das ist viel Verantwortung und man verdiente auch viel Geld. Ich hatte da einen kompletten Beruf. Das hat mich unsicher gemacht, ob ich mein Studium überhaupt noch fertigmachen soll. Aber da gab es auch die kritische Fragen: Warum sind meine männlichen Kollegen alle Alkoholiker oder haben sonst irgendwelche Probleme (lacht)? Da ich irgendwann mal Familie und Kinder haben wollte und eigentlich so wertetreu bin, wollte ich diesen Job nicht langfristig machen.
Dann bist du in den Agenturbereich eingestiegen.
Ganz genau, ich bin zu Mire und Mire gegangen, habe die Markteinführung von SMART mit einer zweiten Architektin mitbetreut und nach vielen Projekten habe ich mit meinem Mann beschlossen, dass wir von Hannover nach Berlin gehen. Da waren auch noch zwei Freunde und da haben wir unsere Firma gegründet. Wir haben dann gleich mit Automotive angefangen. Weil wir ja den Kontakt zu SMART hatten, haben wir dann gleich für SMART gearbeitet und dann für MINI und dann haben wir uns so langsam unser Unternehmen aufgebaut. Zuerst mit ein paar Stühlen vom Sperrmüll und einem Fax, das mein Vater mir geschenkt hatte.
Wie schaut das Business derzeit aus, was macht ihr derzeit in der Agentur?
Es ist mittlerweile eine sehr große Agentur geworden. Wir haben über hundert Mitarbeiter, sitzen in Berlin und haben viele Themenbereiche: Marketingstrategie, reine Strategie, Kommunikation. Gerade haben wir noch eine klassische Werbeagentur gegründet, haben aber auch noch den ganzen Bereich Retail-Design bis hin zur Architektur. Und das vielleicht Ungewöhnlichste in dieser Konstellation ist, dass wir auch Zoos und Freizeitparks bauen auf der ganzen Welt, und in diesem Bereich sogar zu den Top fünf auf der Welt gehören. Also Masterpläne erstellen und so. Das leitet mein Mann unter dem Namen „EMPOLAND”. Das Thema, das mich halt so umtreibt, ist immer, wenn man an Schnittstellen arbeitet.
Wir sind alle Architekten, aber wir haben irgendwann angefangen mit Kommunikation zu arbeiten und mussten wahnsinnig lange lernen und probieren. Du musst die Disziplin auch selber können, damit man sie verbinden kann. Und irgendwann haben wir dann mit Interactive-Elementen verbunden und Exponaten und dann viel in der Automobilindustrie für große Messen gemacht. BMW und MINI und so. Dann kam dieser Aspekt der Freizeit dazu, dann auch des stationären Handels und dann sind wir immer strategischer geworden und haben dann auch die Konzernstrategie für die Lufthansa entwickelt. Jeder ist immer dahingegangen, wo es ihn gerade hingezogen hat und hat sich das Wissen dann noch zusätzlich mitangeeignet. Ja, und deswegen sind wir jetzt wahnsinnig divers, ein wilder Hybrid. Wir passen in keine Agenturschublade mit unserem Portfolio, aber das ist auch das, was uns Spaß macht.
Bist du ein neugieriger Mensch?
Neugierde. Ich bin panisch neugierig. Wenn ich nicht extrem müde bin, weil ich einfach extrem viel mache und drei kleine Kinder habe, und einfach ein paar Ehrenämter, dann bin ich einfach nur immer unterwegs.
Klingt sehr cool. Wie schaut ein Tag bei dir aus?
So ganz klassisch, wie halt Familientage sind. Wir stehen um sechs Uhr auf. 6:30 Uhr müssen die Kinder aus dem Bett. Dann bin ich froh, wenn die um 7:30 Uhr so alle auf der Spur sind. Dann trink ich einen Kaffee, beantworte meine Mails und fahre in die Agentur. Da gibt’s eigentlich den ganzen Tag Meetings. Dann komm ich nach Hause und spiel mit den Kindern und dann habe ich meistens noch irgendwelche Abendveranstaltungen. Es ist schon sehr voll, aber es ist gut voll, denn es ist genauso wie mit meinem Bühnenbild damals. Ich hätte dafür Geld gegeben, dass die mich nehmen und ich das machen darf. Ich habe mir das so ausgesucht. Wenn man vorturnt, ist man ja unglaublich belastbar. Wenn man mitturnt, dann ist dass was anderes.
Ihr seid jetzt sehr bunt aufgestellt, sehr vielfältig. Wie gelingt es euch, diese bunten Menschen zu gewinnen, aber wie gelingt es auch, diese Leute zu motivieren?
Ich versuche es so zu machen, dass jeder da arbeitet, wo er am meisten Leidenschaft hat. Denn da muss man die Leute eher bremsen, als dass man sie antreibt. So dass die Sachen in so eine eigene Dynamik kommen. Ich finde nichts deprimierender, als wenn ein Projekt tatsächlich genau dort endet, wo man sich das vorher dachte – so vorhersehbar. Viel schöner ist es, wenn irgendeiner das dann nimmt und es woandershin trägt, wo es noch viel, viel besser wird. Diesen Prozess zu durchlaufen, das mag ich total. Das ist dann die beste Lösung für das Projekt.
Du hast das Stichwort schon angesprochen. Was bedeutet Leidenschaft für dich?
Ein Zyniker hat mal gesagt, aus Leiden schaffen – lacht – deswegen hat er auch immer das Wort Passion benutzt und nicht Leidenschaft. Für mich ist das in einem Bereich arbeiten zu können, der mir so viel Spaß macht, dass es mir völlig egal ist, ob ich dafür bezahlt werde oder nicht. Oder ganz im Gegenteil: Ich würde sogar noch was dafür geben, dass ich da mitmachen darf, weil es für mich eine so hohe Relevanz hat. Das ist so ein tolles Gefühl, dass ich da unendlich belastbar bin und unendliche Kräfte freisetzen kann. Das ist das Optimum, wenn man so arbeiten kann.
Hast du Träume?
Oh ja, da gibt’s viele.
Magst du uns einen erzählen?
Kreative leiden ja oft so unter Ideen-Tourette. Ich auch. Ich steh morgens auf und denke, das wäre wirklich eine tolle Idee und dann setz ich die um. Bei einer Weltmeisterschaft habe ich mich mal gefragt, warum es eigentlich nur so hässliches Fußballmerchandising gibt. Ich habe mich mit einer Gruppe hingesetzt und wir haben dann sehr humorvolle Sachen zum Thema Fußball entwickelt. Zum Beispiel eine kleine Voodoo-Puppe mit Nadeln, die hatte so Länderflaggen, und die man aufs T-Shirt pappen konnte. Durch Zufall hatte die Puppe auf der Brust den Union Jack. Lustiger weise hat die Sun das auf die Titelseite genommen und gesagt: Schon im Vorfeld wollen die Deutschen bescheißen. Dann brach bei uns die mediale Hölle los. Die ganze Weltmeisterschaft über waren ständig irgendwelche Filmteams bei uns. Dieses Ding war auf Verkaufsrang eins bei Amazon. Da ist es auch natürlich toll, wenn man da so eine Agentur hat und die Sachen einfach schnell zusammenführen, visualisieren und präsentieren kann. Weil tolle Ideen hat ja jeder. Ideen sind eine völlige Massenware, aber dass dann eine Idee mal zur Realität wird, weil sie visualisiert wird, und dann auch noch irgendwann mal einen physischen Körper kriegt, das passiert ja ganz selten. Und das ist das, was mich interessiert. Dass aus so einem kleinen Gedanken irgendwann was werden kann.
Wo siehst du dich in einem Jahr?
Ein Jahr ist vielleicht zu kurz gedacht, denn ich mach so viele Sachen parallel, man weiß ja nie, welches Projekt gerade mehr Momentum kriegt. Das, was ich mache, macht mir unheimlich viel Spaß und deshalb brauche ich nicht so dieses „Wo möchte ich in einem Jahr Sein“. Ich möchte das machen, was ich jetzt mache. Vielleicht noch ein bisschen professioneller, ein bisschen schneller, noch mehr skaliert. Aber vielleicht – wo ist es in fünf Jahren – das ist vielleicht noch mal ne interessantere Frage. Kann ich gar nicht so beantworten.
Wenn’s mal nicht so klappt, oder wenn man einen Durchhänger hat, wer baut dich dann auf? Gibt es jemanden, Menschen, Orte…?
Naja, ich habe drei Kinder. Die sind ja auch noch in so einem dankbaren Alter, mit 7, 8 und 12 und da wird zwar immer viel rumgefrotzelt, aber die hinterfragen mich ja nicht, das ist ja eine bedingungslose Liebe, die man von solchen Kindern kriegen kann. Und das ist so meine komplette Energiequelle.
Gibt es für dich besondere Plätze der Inspiration oder Plätze wo du dich zurückziehen kannst, die eine besondere Ausstrahlung haben?
Es gibt so natürliche Plätze in der Natur, da stehen dann meistens auch Kruzifixe oder Kreuze oder so, wo so ein kollektives Empfinden von einer besonderen Schwingung ist, und wenn man besonders sensibel ist, dann kann man diese Plätze erfühlen. Die können überall sein. In der Stadt, in einem Wald oder auf einem Berg. Sowas ist natürlich immer ein ganz erhabener Moment.
Wie gehst du mit neuen kreativen Herausforderungen um?
Reden, ganz viel reden. Wir haben vor fünf Jahren auf Design Thinking umgestellt, weil ich festgestellt habe, diese ganzen Ideen können nicht nur immer aus meinem Kopf kommen. Wir haben natürlich viele Kreative, aber irgendwann hatte ich wirklich Panik, dass vieles daran hängt, dass ich eine kreative Idee habe. Und dann haben wir das Thema Design Thinking eingeführt, weil es ein kollaborativer Prozess ist, weil dann viel schnellei viele gute Ideen entwickelt werden. Und das war auch so ein wirklich ganz toller Moment bei uns im Unternehmen. Auf einmal gab es ein Tool, das es viel einfacher machte, in Zusammenarbeit Leute dazu zunehmen und Sachen als ein Gruppenthema zu erdenken. Dann passiert nämlich auch das, dass man nicht mit der ersten Idee, die man hat irgendwie stehen bleibt, sondern dass es sich dann irgendwohin entwickelt, wo es noch besser ist. Das macht mich total glücklich.
Gibt es sonst einen Tipp für ein Buch, das man lesen sollte?
Was ich ganz interessant fand, war „The Tipping Point“ – das virale Thema. Marketing mit Viren zu vergleichen oder mit Pandemien. Und dann auch noch vom gleichen Autor „BLINK“. Das Unterbewusste. Mich interessieren dann auch schon die Funktionsweisen. Vielleicht ist es noch immer mein nicht erfüllter Wunsch nach Biologie und nach dem Medizinstudium, dass ich da eine sehr hohe Affinität habe. Also Neuromarketing. Oder die ganzen Ansätze „Wie funktioniert unser Gehirn?“, „Was sind wir überhaupt für biologische Wesen?“, „Wie funktionieren wir?“ das finde ich sehr spannend. Aber ansonsten lasse ich mich immer gerne treiben und guck mal hier und dort auf ein paar Blogs oder spreche eben mit Menschen. Das finde ich oft am Interessantesten.
Gibt es einen Ratschlag, den du deinem 14jährigen Ich jetzt geben würdest?
Ja. Ich war ja ein sehr verträumter Teenager – wahnsinnig lethargisch. Das habe ich mir dann durch die Arbeit im Fernsehen abgewöhnt. Denn so eine Fernsehproduktion, die darf ja nie stehen bleiben. Ich wäre echt dankbar gewesen, wenn ich schon mit 14 immer in Bewegung sein hätte können und das nicht dann erst mit 20 im Studium gelernt hätte. Das hätte mir viel Stress in der Schule erspart.