Christian Berger ist Referent in der Arbeiterkammer Wien im Bereich Wirtschaft/Digitalisierung, Berater und Coach im Bereich Gender Equality Management und ist einer der Sprecher*innen des Frauenvolksbegehrens. Er war unter anderem Experte für den »Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter« des Europaparlaments. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Gleichstellungsrecht und -politik, Feministische Politische Ökonomie, Populärkultur und Kulturkritik.

Was bedeutet die Corona Krise für dich ganz persönlich?

Für mich ganz persönlich bedeutet die Corona-Krise Sorge um andere. Ich habe das Privileg, dass mein Teilzeitjob im öffentlichen Sektor gesichert ist und ich Personen beratend zur Seite stehen kann, vor allem im Rahmen der „Job und Corona“-Hotline von ÖGB und AK. Die Konfrontation mit dieser Vielzahl von Fällen von Personen, die von Kündigungen betroffen sind, oft auch gesundheitliche Probleme haben und zu Hause durch Sorgepflichten mehrfachbelastet sind, ist nicht nur eine fachliche, sondern auch eine mentale Herausforderung.

Ich versuche nebenher so gut es geht an anderen Beratungs- und Publikationsprojekten zu arbeiten, punktuell nutze ich Gelegenheiten, um die aktuelle Situation etwa auf meinem Instagram-Kanal oder in Interviews  intellektuell zu verarbeiten, versuche aber gleichzeitig, die Anforderungen an mich (und andere) so gut es geht gering zu halten.

Wie gestaltest Du Deinen Tag?

Ich bin im Homeoffice – ein Privileg. Homeoffice steht den Gut- und Besserverdienenden zur Verfügung – nur das Viertel mit dem höchsten Einkommen hat die Wahl, zu Hause zu arbeiten – krisenunabhängig. Sozial isolieren kann sich nur, wer über dafür notwendigen Raum und Ressourcen verfügt. Ein Privileg ist es auch, zu Hause sicher zu sein. Unter Krisenbedingungen nimmt männliche Gewalt zu. Es brechen Neurosen aus, die Menschen im sogenannten Normalzustand nur mit Müh und Not im Griff haben.

Welche Entwicklungen werden sich durch die Krise beschleunigen? In der Gesellschaft? In der Wirtschaft?

Mich beschäftigen zurzeit Guattaris Gedanken zum „Mikrofaschismus“, der noch „in den Poren unserer Gesellschaften wuchert“. Etwa in der in Mentalität der Gleichgültigkeit. In der weit verbreiteten Vorstellung, die eigenen Interessen nur gegen die der anderen durchsetzen zu können. Er steckt in der Technikorientierung und im Militarismus, in der Naturbeherrschung und Produktionsweise, im Rassismus, in der Unterdrückung von Frauen und Minderheiten. In der Verachtung und Verdinglichung des anderen und das eigenen. Im Mangel an Sorgestrukturen.

Schon vor der Krise konnte man die Tendenz feststellen, dass öffentliche Angebote und Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitssystem, der Kinderbetreuung, der Pflege und Altersversorgung reduziert oder vermarktlicht werden und sich die von Nancy Fraser diagnostizierte „Krise der sozialen Reproduktion“ zuspitzt.

Das menschliche Leben könnte den Wettlauf gegen Pandemien, Eskalationen von Gewalt und nahende ökologischen Katastrophen verlieren. Eine Bedingung für überlebenswichtige Veränderung wäre, sich zu fragen, wie es so weit kommen konnte und wie wir so werden konnten.

Bild: @ Anna Reinhartz